Die politische Verantwortung von Unternehmen

Die Frage nach der politischen Verantwortung von Unternehmen wird im wissenschaftlichen Diskurs debattiert, spaltet vor allem aber die Vertreter und Vertreterinnen von Unternehmen. Während die einen AfD-nahe Positionen vertreten, rufen andere ihre Belegschaft zum Wahlboykott der extremen Rechten auf. Während die einen Diversitätsziele hochhalten, schleifen Weltkonzerne wie SAP oder die Telekom diese (in vorauseilendem Gehorsam und in bester Green- bzw. Bluewashing-Manier) beispielsweise in den USA aufgrund der aktuellen Entwicklungen unter der Trump-Administration.

Befragt zu den Gründen, neben unternehmerischer auch politische Verantwortung zu übernehmen oder übernehmen zu wollen oder eben nicht, zeigt sich im Wesentliche ein zweigeteiltes Bild: während größere Unternehmen tendenziell die Verpflichtung zu einer solche Verantwortungsübernahme befürworten, zeigen sich kleinere Unternehmen hier tendenziell zurückhaltender. Befragt zu den Gründen zu Pro und Contra werden u.a. folgende Argumente genannt:

Pro: Stärkung der Markenidentität, Mitgestaltung des gesellschaftlichen Wandels, Vorbildfunktion, Wertetransparenz, Übernahme gesellschaftspolitischer Verantwortung.

Contra: Angst vor Zielgruppenboykott, Angst vor Verlust von Mitarbeitenden und Lieferanten, Unsicherheit, ob die Maßnahmen auch tatsächlich wirken, Angst vor Glaubwürdigkeitsverlust, Shitstorms und Polarisierung.

Während also die Contra-Argumente eher auf betriebswirtschaftliche Zielerreichungssysteme abstellen, finden sich in den Pro-Argumenten potentiell auch normativ wirksame Gründe. Das Bild relativiert sich jedoch schnell, schaut man in die aktuell von der TU Dresden-Zittau gemeinsam mit Civey veröffentliche Studie: ESG 2025 – Relevanz, Herausforderungen und strategische Perspektiven in deutschen Unternehmen. Die Studie zielt auf die Einhaltung und Berichterstattung im Rahmen der ESG-Kriterien (Environmental, Social, Governance) ab, welche einen unmittelbaren Ausfluss der nationalen Umsetzung der EU-Nachhaltigkeitsagenda darstellen. Mittelbar kann die ESG-Gesetzgebung gar auf den UN Global Compact zurückgeführt werden, eine Initiative, die bereits 1999 maßgeblich aus den Unternehmen selbst heraus entstanden ist. In der aktuellen Studie also zeigt sich ein ambivalentes Bild; ESG wird in den Unternehmen zwar weniger als normative Grundlage allen wirtschaftlichen Handelns, sondern vorwiegend als Teil der betriebswirtschaftlichen Strategie gesehen. Gleichzeitig sehen lediglich 10,5 % der Befragten Diversität und Inklusion als relevant für das eigene Unternehmen an, nur 11 % Biodiversität und Naturschutz, nur gut 12 % den Schutz von Frauen- und Minderheitenrechten oder von Menschenrechten in der Lieferkette oder lediglich 12,9 % die Bekämpfung des zunehmenden Rechtextremismus. Spitzenreiter der Umfrage ist mit knapp 40 % die Energieeffizienz als strategierelevantes Ziel – mit Energie sind jedoch auch erhebliche Kosten verbunden, die sich unmittelbar senken lassen. Fazit: Ziele, die sich kurzfristig positiv auf die Kostensituation niederschlagen, werden als wichtiger erachtet, als solche, die bei der Förderung keinen unmittelbaren Benefit auf die Umsatz- und Gewinnsituation der Unternehmen mit sich bringen.

Corporate Citizenship als Haltung

Die Achtung der Menschenrechte, die Gleichbehandlung der Geschlechter, die Bekämpfung von Kinderarbeit oder die Einhaltung dieser Kriterien in der Wertschöpfungskette sind jedoch Themen, die im globalisierten Handel und der globalisierten Produktion aus guten Gründen auf der (politischen) Agenda stehen. Welche Begründungen können jetzt also auch für die unmittelbare Übernahme auch politischer Verantwortung in Unternehmen angeführt werden?

Hierfür skizziere ich nachstehend das Bild des „Corporate Citizens“, bevor ich diese Denkfigur auf unternehmensethische Ansätze projiziere. Im Anschluss plädiere ich für die unbedingt notwendige Übernahme politischer Verantwortung durch Unternehmen. Dazu werde ich mich unterschiedlicher Argumentationen bedienen. Zum Abschluss stelle ich eine Auswahl an relevanter deutschsprachiger, aber auch englischer Literatur vor, die exakt diese Forderung unterstützt.

Der Corporate Citizen, der gute Wirtschaftsbürger, ist eine Denkfigur, die v.a. im politischen und (wirtschafts-)wissenschaftlichen Diskurs Anwendung findet. Im Fokus steht dabei der verantwortungsbewusst und verantwortungsvoll denkende und handelnde Staatsbürger (Citizen). Inkorporiert in ein Unternehmen, das selbst ja bloß eine juristische Hülle darstellt, gilt es, im Handeln an der Schnittstelle von Wirtschaft, Gesellschaft und Politik eben Verantwortung zu übernehmen. Durch die Betrachtung des Verantwortungsgedankens sowie durch den Bezug auf (moralisch) gutes Handeln kommen im Rahmen der Denkfigur deontologische, tugendethische sowie fürsorgliche Aspekte zum Vorschein.

Der Schweizer Wirtschaftsethiker Peter Ulrich (*1949) bringt den Corporate Citizen in seinem Modell unternehmensethischer Ansätze (Ulrich 2016) zur Anwendung. Ulrich unterscheidet vier mögliche Ansätze unter dem Primat der (notwendigen) Gewinnerzielung von Unternehmen, wobei die Ansätze nicht trennscharf sind und sich durchaus überlappen können:

  • instrumentalistischer Ansatz: Unternehmensethik als Strategie (Gefahr: Green-, Bluewashing)
  • karitativer Ansatz: Gewinnverwendung außerhalb des Geschäfts für karitative Zwecke (Schwierigkeit: diese karitative Verwendung gibt keine Hinweis auf die Frage, mit welchem ggf. fragwürdigen Geschäftsmodell die Gewinne erwirtschaftet wurden; Verdacht der „Freikauf-Mentalität“)
  • korrektiver Ansatz: situative Geschäftsbegrenzung bezogen auf z.B. einzelne Regionen oder bestimmte Geschäftsbereiche (Schwierigkeit: Beliebigkeit aufgrund meist fehlender normativer Grundlage)
  • integrativer Ansatz: der für Ulrich einzig zulässige Ansatz, der die Gewinnmaximierung (nicht die bloße -erzielung) unter unabdingbaren (kategorischen) Legitimitätsvorbehalt stellt. Dieser unterliegt der menschlichen Vernunft einerseits, der Anforderung der Lebensdienlichkeit aller Entscheidungen andererseits und kann nur unter diesen Prämissen Zukunftsfähigkeit entwickeln. In diesem Ansatz können oder müssen die anderen drei Ansätze dann (auch) zur Anwendung kommen.

Wer sich als Corporate Citizen versteht, muss sich demnach der Tatsache unabdingbarer Legitimität verschreiben, die auch nach Ulrichs Ethik in deontologischen und tugendethischen Grundlegungen zu finden ist. Die unabdingbare „Lebensdienlichkeit“ (Ulrich 2016) jeder unternehmerischen Entscheidung und Handlung stellt dabei die Norm dar, die – im Sinne der Diskursethik – tagtäglich diskursiv zu verhandeln ist, in Unternehmen, in der Gesellschaft, im Staat, in der Politik.

Aus dieser Argumentation heraus ergibt sich (nicht nur) für mich die unabdingbare Forderung an Unternehmen, auch aktiv und proaktiv politische Verantwortung zu übernehmen. Argumentativ blicke ich dabei aus mehreren Richtungen auf diese Forderung:

  • ethisch-normativ: Unternehmen sollten dem Ideal des Corporate Citizen entsprechen, können sich von unternehmerischer Verantwortung über das eigene Geschäftsmodell hinaus nicht freisprechen
  • gesetzlich-regelgeleitet: Unternehmen sind im Rahmen der Compliance-Vorgaben an rechtliche Vorgaben gebunden und u.a. in weiten Teilen verpflichtet, etwa einen Nachhaltigkeitsbericht (nicht-finanzielle Berichterstattung) vorzulegen
  • gesellschaftlich-strukturell: Stakeholderverantwortung bedeutet Rollenverantwortung; wenn sich alle Bürger eines Staats als verantwortliche Staatsbürger verstehen, ist die Verantwortung auch in allen Rollen anzunehmen (als Eigentümer eines Unternehmens, als Mitarbeitende, Kunden, Staatsbürger, Teil der Gesellschaft, usw.)
  • empirisch: einmal aus der Tatsache heraus, dass Unternehmen direkt oder über Verbände Lobbyarbeit betreiben; warum es legitim sein sollte, die politischen Gesetzgebungsprozesse beeinflussen, jedoch keine politische (Mit-)Verantwortung übernehmen zu wollen, scheint wenig nachvollziehbar und argumentativ höchst „dünn“ zu sein. Zum anderen ergibt sich (nach meinen empirischen Beobachtungen) das wiederkehrende Bild, dass diejenigen Unternehmen, die regelkonform und darüber hinaus wirtschaftlich tätig sind, auf lange Sicht erfolgreicher sind, gleichzeitig dann auch nicht nach staatlicher Hilfe schreien (müssen), wenn Konsequenzen auf Basis moralisch fragwürdigen Geschäftsgebarens durchschlagen. Ein gutes Negativ-Beispiel (!) dafür ist die Automobilbranche: die Vorgaben für das Auslaufen des Verbrenners wurden durch die Lobby zugunsten der Renditen für die Eigentümer erfolgreich verwässert; sollten die Automobilhersteller in der E-Mobilität den Anschluss an China dann aber endgültig verloren haben, wird heute schon absehbar wieder nach staatlicher Hilfe gerufen (mit dem Totschlagargument der Arbeitsplätze)
  • handlungstheoretisch: auch die Folgenverantwortung für bewusste Handlungen ist in die Betrachtung mit einzubeziehen; selbst wenn dem kurzfristige Vergütungsmodelle in Unternehmen entgegenstehen, sind die handelnden Personen auch von einer Zukunftsverantwortung nicht freizusprechen.

In der deutschsprachigen Literatur werden alle diese Punkte spätestens seit den 1970er-Jahren und dem „Prinzip Verantwortung“ (1979) von Hans Jonas diskutiert. Christian Neuhäusers Monographie „Unternehmen als politische Akteure“ kann im Zuge dessen als neuere Quelle ebenso genannt werden, wie eben Peter Ulrichs „Integrative Wirtschaftsethik“ (2016) und auch Lisa Herzogs „Die Rettung der Arbeit“ (2019). Die Autorin stellt darin die Forderung nach Demokratisierungsprozessen in Unternehmen auf, um vor allem der Digitalisierung der Arbeitswelt (menschen-)gerecht zu begegnen.

Interessant ist, dass sich auch in den traditionell stakeholderorientierten Business-Ethics-Ansätzen im angelsächsischen Raum Gedanken zur politischen Verantwortung von Unternehmen finden. Zurückbinden lässt sich das bis auf J.S. Mill, der Unternehmen öffentliches Eintreten für das Gemeinwohl ins Pflichtenheft geschrieben hat (1859/2011). Exemplarisch an neueren Quellen sei ergänzend Michael Sandel mit seinem Plädoyer der Nicht-Neutralität von Märkten genannt (2011). Aktuell reüssieren zudem Andrew Crane, Dirk Matten et al. (2016) mit der Forderung an Unternehmen, staatliche Regelungslücken proaktiv (!) verantwortungsbewusst zu füllen.

Zum Weiterlesen

Die Studie „ESG 2025 – Relevant, Herausforderungen und strategische Perspektiven in deutschen Unternehmen“, von Prof. Dr. Markus Scholz (TU Dresden) und Steffen Braun (Executive Vice President Civey) lädt nicht zum Optimismus ein, ist gleichzeitig aber höchst aufschlussreich. Zu beziehen hier: Prof. Dr. Markus Scholz — Professur für Betriebswirtschaftslehre, insb. Responsible Management — TU Dresden.

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Nachbemerkung: Der Beitrag ist entstanden aus einem Impulsvortrag anlässlich der Philosophischen Stunde des VPU – Verband für Philosophie und Unternehmensberatung e.V. Die Philosophische Stunde ist ein wiederkehrendes Format und offen für alle Interessent:innen. Die Aufzeichnungen der inhaltlich und thematisch vielfältigen bisherigen Impulsvorträge lassen sich auf dem YouTube-Kanal des VPU abrufen. Der Mitschnitt dieses Beitrags findet sich hier: Philosophische Stunde Juni 2025: Die politische Verantwortung von Unternehmen.

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