Darf sich die Schweiz aus dem Pariser Klima-Abkommen freikaufen?

Die Schweiz lagert in großem Stil Maßnahmen an ärmere Länder aus, um die im Pariser Abkommen festgelegte CO2-Reduktion nicht im eigenen Lande umsetzen zu müssen, dennoch die vereinbarten Ziele zu erreichen. Rechtlich ist das möglich (Artikel 6 des Pariser Klimaabkommens), moralisch aber vollkommen fragwürdig. Ausgelagert (und bezahlt) werden Maßnahmen u.a. nach Ghana, Peru, in den Senegal oder nach Vanatu, und damit in Länder, die (erwartungsgemäß) künftig noch stärker unter dem Klimawandel leiden werden als das, was wir den „globalen Norden“ nennen. Ungleich stärker somit als die Schweiz, die gleichzeitig aber für einen viel höheren CO2-Ausstoß sorgt als die Länder, die für die Schweiz CO2 sparen sollen.

Gleichen wir dieses Verhalten doch mal ab mit verschiedenen ethischen Strömungen und deren Prämissen:

  • Tugendethik: Ein solches Handeln kann nicht tugendhaft sein und zu einem gelungenen Leben führen im Sinne dessen, was ursprünglich der Philosoph Aristoteles damit im Sinn hatte. Welche Tugend sollte mit einem solche Handeln auch einhergehen? Das Maß, die rechte Mitte also wird hier in keiner Weise gefunden.
  • Pflichtethik: Nach Immanuel Kant geht es stets um das Gesollte. Der Zweck heiligt niemals die Mittel, vielmehr müssen die Mittel der inneren Instanz („Was soll ich tun?“) standhalten. Gleichzeitig müssen Handlungen dabei der allgemeinen Vernunft standhalten. Wenn alle Staaten jedoch handeln würden, wie die Schweiz, könn(t)en wir das Pariser Abkommen unmittelbar beerdigen.
  • Fürsorgeethik: Fürsorgliches Handeln umfasst diverse Aspekte, wie die Tugend und die Vernunft, aber auch die Nächstenliebe, die Übernahme von Verantwortung oder den Wunsch nach einem guten Leben. Und diese Fürsorge kann in einer globalisierten Welt nicht auf nationales Wohl, einen nationalen Gedanken begrenzt bleiben.
  • Allein im utilitaristischen Gedankengut kann man Begründungsansätze finden, die das Verhalten der Schweiz in Ansätzen rechtfertigen; wenn (!) der CO2-Ausstoß auch durch die Auslagerungsmaßnahmen weltweit sinkt, ist ein Nutzen vorhaben und die Menschen in den Ländern, in die der Klimaschutz ausgelagert wird, profitieren in Teilen (und zumindest aktuell) von den Investitionen des „globalen Nordens“.

Im Zusammenhang ist diese fragwürdige (wie schon gesagt rechtlich durchaus zulässige) Praxis in Verbindung mit weiteren Fragestellungen zu beurteilen: dazu gehören neben den Auswirkungen auf Umwelt und Gesellschaft lokal und global Gerechtigkeitsaspekte oder auch die Normen, nach denen Menschen in Politik, aber auch in der Wirtschaft entscheiden.

Die Frage bleibt also bestehen: Darf sich die Schweiz aus dem Parier Klimaabkommen freikaufen? Ich denke nein, da die Nutzung dieser Möglichkeit jede Bemühung zum Klimaschutz konterkariert. Die Schweiz hatte sich sogar erheblich für die Einführung des genannten Artikel 6 des Pariser Abkommens eingesetzt, und somit von Anfang an nicht global tugendethisch, deontologisch oder fürsorglich gedacht. Und zukunftsfähig ist dieses Handel in keiner Weise.

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Zum Weiterlesen:

Ein interessanter Artikel zum beschrieben Sachverhalt erschien unter der Überschrift „Saubere Bilanz“ im Magazin der Süddeutschen Zeitung, Ausgabe 32/2023.

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Autor: andersdenkenmuenchen

Dr. Alexander Braml, München Freiberufler im Bereich Beratung - Coaching - Seminare und Trainings mit Schwerpunkt auf allen Themen rund um Nachhaltigkeit, Sinnstiftung und Unternehmensethik. Davor 20-jährige Tätigkeit in der freien Wirtschaft. Doktor der Philosophie mit einer wirtschaftsethisch-handlungstheoretischen Arbeit. Betriebswirtschaftliche, kulturwissenschaftliche und philosophische Studiengänge in Hagen und München. Studienleiter und Dozent in der Erwachsenenbildung, Inhaber diverser Lehraufträge an Hochschule und Universität. Kontakt: ab@logos-strategie.de. www.logos-strategie.de