Mein Plädoyer für ein Wahlrecht ab 16 Jahren.

Kürzlich erging das bahnbrechende Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Klimagerechtigkeit: Dabei wurde den teilweise sehr jungen Beschwerdeführer:innen insofern Recht gegeben, als die Regelungen des Klimaschutzgesetzes der Bundesregierung aus 2019 als nicht ausreichend erachtet werden – als nicht ausreichend, die gemäß Pariser Klimaabkommen staatlich selbst gesetzten (!) und verbindlichen Ziele zu erreichen. So sind junge und kommende Generationen durch diese unzureichenden Regelungen zur Emissionsreduktion aktuell und perspektivisch sowohl in ihren Schutzrechten wie ebenso in ihren Freiheitsrechten beschränkt. (Bundesverfassungsgericht – Presse – Verfassungsbeschwerden gegen das Klimaschutzgesetz teilweise erfolgreich))

Das Urteil sollte als Anlass genommen werden, die Debatte über eine Altersabsenkung im Rahmen des allgemeinen Wahlrechts neu zu beleben.

Ich plädiere hier ausdrücklich für die Absenkung des Wahlalters und stelle folgende vier Aspekte bzw. Fragen zur Diskussion:

Die Gerechtigkeitsfrage

In einer überalternden Gesellschaft, die durch steigende Lebenserwartung und sinkende Geburtenraten gekennzeichnet ist, braucht es ein demokratisch legitimiertes Gegengewicht gegen eine Gerontokratie. (Gesellschaft der Alten: Alterspyramide – Alter – Gesellschaft – Planet Wissen (planet-wissen.de))

Selbstverständlich ist den Ansprüchen, Bedürfnissen und Wünschen der älteren Menschen in unserem Lande gerecht zu werden. Nachdem die Zukunft naturgemäß jedoch den Jüngeren gehört, wäre die Absenkung des Wahlalters eine Möglichkeit, auch diese Perspektive demokratisch besser und adäquater abgebildet zu bekommen.

Die allgemeine Frage nach Partizipation

Nicht nur in der politischen Philosophie wird zum Thema der Partizipation künftiger Generationen geforscht. Erarbeitet werden etwa Vorschläge, wie die Rechte und Bedürfnisse der heute noch nicht Geborenen im Rahmen demokratisch legitimierter Prozesse berücksichtigt werden können. Auch die Nachhaltigkeitsdebatte hat letztlich kein anderes Ziel: Es gilt, einen lebenswerten Planeten für kommende Generationen zu erhalten. Wenn jetzt aber bereits darüber nachgedacht wird, künftige Generationen über bestimmte Wege quasi passiv in die demokratische Willensbildung einzubeziehen: wieso sollten dann die aktuell schon geborenen jüngeren Generationen kein aktives Wahlrecht erhalten?

Die Bildungsfrage

Ein Argument gegen die Absenkung des Wahlalters lautet wiederkehrend, jüngere Menschen wären noch nicht ausreichend reif, gefestigt oder politisch gebildet (womit das staatliche Bildungssystem gemeint ist), um eigenverantwortlich und selbstbestimmt wählen zu können. Diesem Argument kann man in zweifacher Weise entgegentreten:

Auf der einen Seite zeigen diverse Umfragen und Studien, dass durchaus hohes politisches Bewusstsein bei den Jugendlichen herrscht. (Shell Jugendstudie 2019: Jugendliche melden sich zu Wort | Shell Germany) Die „Fridays for Future“-Bewegung etwa bestätigt das auch eindrücklich ganz praktisch und aktuell.

Auf der anderen Seite wird dieses Argument oft von Politikern vorgebracht, also von denjenigen, die für das Bildungssystem in unserem Land unmittelbar verantwortlich zeichnen. Das ist mir jedoch zu einfach: einerseits die bekannten, wiederkehrend verschiedentlich angemahnten und uns allen bewussten Missstände im Bildungssystem unzureichend zu beheben, den (vermeintlich) fehlenden Bildungsstand dann aber gleichzeitig argumentativ gegen die Betroffenen zu wenden. Nicht nur schlechter Stil.

Die Verantwortungsfrage

Ein weiteres, und durchaus bedenkenswertes, Argument gegen die Absenkung des Wahlalters lautet, man würde den Jugendlichen damit eine (zu) hohe Verantwortung aufbürden. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass es um die Einführung des Wahlrechts, nicht der Wahlpflicht für Menschen zwischen 16 und 18 Jahren geht.

Zudem gestehen wir bereits heute 17-Jährigen zu, eine Vorstufe des Führerscheins zu erwerben. Im Rahmen des sog. begleiteten Fahrens startet die Ausbildung dazu bereits mit 16 Jahren. Und warum sollte also ein junger Mensch, der Verantwortung im Straßenverkehr übernehmen muss, nicht auch Verantwortung im demokratisch verfassten Staat via Wahlrecht übernehmen können?

Fazit

Insgesamt denke ich, dass die genannten Aspekte (die Fragen nach der Gerechtigkeit, nach Partizipation, nach Bildung sowie nach der Verantwortung) sehr gut geeignet sind, die Absenkung des allgemeinen Wahlrechts auf 16 Jahre zu rechtfertigen. Das Wahlalter ist veränderbar! Unter dem Bundeskanzler Willy Brandt wurde das Wahlrecht für 18-Jährige eingeführt, das bis 1970 erst ab 21 Lebensjahren gegolten hatte. Die Contra-Argumente von damals klingen wohlvertraut: So wurde Menschen zwischen 18 und 21 die Reife abgesprochen, via Wahlrecht am politischen Willensbildungsprozess aktiv zu partizipieren. Heute würde niemand mehr das Wahlrecht ab 18 in Frage stellen.

Ein weiteres beliebtes Gegenargument gegen die Absenkung ist, dass der nächste Schritt dann das Wahlrecht ab 14 Jahren sein könnte. Unabhängig davon, dass gegen eine weitere Absenkung unter Umständen tatsächlich entwicklungspsychologische Argumente sprechen, sollten wir das dann jedoch zu gegebener Zeit diskutieren.

Es bleibt abzuwarten, wie sich die neue Bundesregierung nach der Bundestagswahl 2021 zur Frage einer Wahlrechtsreform zugunsten der jüngeren Generationen positioniert.

Anmerkung: Das Beitragsbild stellt ein Graffito dar, gesehen an einer Straßenecke in der kroatischen Stadt Rijeka.

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