Kognitive Dissonanz und Umweltbewusstsein.

Menschliches Handeln ist oftmals paradox – so erkennen wir zwar theoretisch und grundsätzlich meist, was richtig und – in einem moralischen Sinne – gut wäre, richten unsere Entscheidungen und Handlungen in der Praxis aber nicht danach aus. Ein Beispiel dafür ist unser Umgang mit der sog. Klimakrise, also der durch den Menschen beschleunigten Erderwärmung. Die irreversiblen Kippunkte der Atmosphäre, an denen eine Entwicklung mit erheblichen negativen Auswirkungen und Folgen für unser Leben schon heute spürbar ist und erwartungsgemäß künftig unausweichlich wird, rücken bedrohlich nahe.
Umweltministerium und Umweltbundesamt erheben seit 1996 alle zwei Jahre in einer repräsentativen Umfrage, was die Bundesbüger:innen im Rahmen des Zustands der Umwelt und bezogen auf das eigene umweltbewusste Verhalten beschäftigt (vgl. Umweltbewusstsein und Umweltverhalten | Umweltbundesamt). Die Wichtigkeit des Themas „Klima- und Umweltschutz“ ist in der letzten Umfrage von 2022 zwar hinter andere, auch aktuelle gesellschaftliche Herausforderungen (wie etwa die Auswirkungen des Ukraine-Kriegs) zurückgetreten und hat leicht an Bedeutung verloren. Dennoch taucht das Thema nach wie vor in den Top 5 der wichtigsten Themen auf und wird von 57 % als „sehr wichtig“ eingestuft. Die überwiegende Mehrheit der Befragten fordert darüber hinaus von „der“ (abstrakt gesprochen) „Politik“, dass klima- und umweltschutzbezogene Aspekte in den Entscheidungen eine weitaus größere Rolle spielen sollten als bisher. Das persönliche Verantwortungsgefühl für diese Entwicklungen ist im Zeitverlauf der Befragung dabei gleichzeitig jedoch zurückgegangen. Und gerade im individuellen Konsumverhalten schlagen sich diese Erkenntnisse parallel nicht oder nur teilweise nieder und das schon bei relativ wenig aufwendig umzusetzenden Maßnahmen. So gaben etwa lediglich 46 % der Befragten an, Ökostrom  zu beziehen und gar nur 30 % machten den Elektrogerätekauf für den eigenen Haushalt von der angegebenen Energieeffizienzklasse der Angebote abhängig.

Wie lässt sich jetzt aber diese Diskrepanz zwischen erkannter Bedeutung und dem  Wunsch nach mehr Klimaschutz einerseits und dem eigenen, oftmals in diesem Sinne nicht nachhaltigen Handeln andererseits erklären?  
Ein Grund liegt sicherlich in den Zwängen und Strukturen, die uns umgeben. Wir sind in eine Wirklichkeit hineingeboren, die sich im kulturellen, gesellschaftlichen, politischen, technischen, globalen usw. Umfeld dahin entwickelt hat, wo wir heute stehen und die sich stetig weiterentwickelt. Die Wirkung individueller Handlungen ist für die/den Einzelne:n oft nicht spürbar und Veränderungen benötigen entsprechend kollektiv anerkannte und durchzusetzende Rahmenbedingungen. In unserer Demokratie ist eine Möglichkeit dessen, das eigene Wahlverhalten entsprechend anzupassen und „der Politik“ damit den entsprechend der Wahlprogramme legitimierten Auftrag zu erteilen. Die aktuellen Entwicklungen diesbezüglich lassen aber wiederum die schon beschriebene Diskrepanz zwischen Wunsch (Klimaschutz) und Wirklichkeit (sinkende Zustimmungswerte und Wahlergebnisse für „grüne“ Themen, vgl. etwa die Landtagswahlen in Bayern und Hessen 2023) erkennen.

Neben der bestehenden externen gesellschaftlichen und politischen Situation kommt daher ein weiterer (interner, psychologischer) Grund zum Tragen, nämlich das, was in der Psychologie als Kognitive Dissonanz bezeichnet wird. Menschen empfinden Situationen, Informationen oder Entwicklungen als unangenehm – wie beispielsweise eben die bereits heute erheblichen, erleb- und spürbaren Auswirkungen der Klimakrise. Gefangen in diesem Gefühl sind viele Menschen bestrebt, diese Dissonanz aktiv zu verdrängen, zu vermeiden oder zu reduzieren, um in einen Zustand innerer „Konsonanz“ (Festinger 1957/1981, 16) zu kommen. Trotz besseren Wissens tragen somit auch empfundene Hilflosigkeit und das Gefühl, einer Situation sowie externem Druck ausgeliefert zu sein, zu den genannten Verdrängungsmechanismen bei. Neben der subjektiv-individuell verständlichen inneren Entlastungsfunktion, die damit einhergeht, führt die Kognitive Dissonanz kollektiv aber zu Fehlentwicklungen und Zuständen, die gerade nicht zukunftsfähig und in diesem Sinne nicht moralisch „gut“ sind. Unbewusste Gründe, die innerlich einer Änderung des bewussten Verhaltens entgegenstehen, liegen (1) in der Angst vor Verlust begründet, zum Beispiel bezogen auf den Verlust des Lebensstandards oder des Wunsches der Beibehaltung eingeübter Muster, (2) der Unlust, sich mit Alternativen, wie  Ökostromangeboten zu beschäftigen und auch (sich selbst) Fehler einzugestehen, oder (3) schlicht in der Unmöglichkeit der Veränderung – zum Beispiel im Rahmen von bestehenden Pathologien oder fehlender Willenskraft (vgl. Festinger 1957/1981, 39f.).

Wie lässt sich dem Tatbestand der Kognitiven Dissonanz mit allen geschilderten negativen Auswirkungen jedoch entgegenarbeiten? Hier bietet die Moralpsychologie in der Verbindung psychologischer und ethischer Aspekte einen  Lösungsweg an. Die Stärke dieses Lösungswegs macht die wechselseitige Verbundenheit individueller und kollektiver Bedürfnisse, aber auch Anforderungen aus. Interne Hürden der Verhaltensänderung von Menschen finden ebenso Eingang, wie externe Zwänge, die uns im Leben und in unseren Handlungen beschränken. Dabei sind diese Veränderungsprozesse überwiegend langfristig zu betrachten – umso wichtiger, dass wir hier endlich aktiv werden, denken wir an die aktuelle, stetig bedrohlicher werdende Situation bezogen auf die Klimakrise.

Um Verhaltensänderungen umzusetzen, werden Motivation sowie Volition benötigt. Menschen müssen motiviert sein, ihre Handlungen nachhaltiger auszurichten und gleichzeitig innere Hürden und externe Zwänge in der Umsetzung volitional, damit willentlich, zu überwinden. Im Rahmen der Motivation geht es um die Befriedigung elementarer Bedürfnisse. Darüber hinaus wird in der modernen Motivationsforschung die These vertreten, dass Menschen gleichzeitig soziale Eingebundenheit spüren müssen, um sich tatsächlich in eine bestimmte Richtung zu bewegen. Erst in der Bezogenheit auf andere Individuen kann sich somit die Erkenntnis durchsetzen, dass, und vor allem warum, bestimmte Handlungen als wichtiger und richtiger erachtet werden als andere. Als Gesellschaft und als Individuum sind wir uns jetzt ja bereits durchaus bewusst, dass – um bei einem oben genannten Beispiel zu bleiben – energieeffiziente Hausgeräte sinnvoller sind als Geräte mit hohem Stromverbrauch. Um diese Erkenntnis aber in konkrete Handlungen umzusetzen, müssen Menschen erkennen, dass diese individuelle Handlung als kollektiv sinnvoll anerkannt und respektiert ist, und dass damit höhere, sinnstiftende Ziele (also zum Beispiel ein Beitrag zur Reduzierung von CO2 in der Atmosphäre zum Schutz von Leben) verfolgt werden. Dadurch kann die Motivation steigen, sich in diesem Sinne umweltbewusst zu verhalten und Hürden in der Umsetzung im Anschluss daran willentlich, bewusst also, zu überwinden.

Die Rahmenbedingungen dafür müssen seitens der Gesellschaft und der politische  Entscheidungsträger geschaffen werden; die Gesellschaft selbst wird dabei ja wiederum durch jede:n Einzelne:n von uns erst gebildet, die politischen Würdenträger von jeder/jedem Einzelnen von uns gewählt. Somit wird die wechselseitige Verwobenheit deutlich und die Tatsache, warum es sich bei einer solchen Entwicklung um einen (langwierigen) Prozess handelt: gesellschaftliche Anerkennung bestimmter Verhaltensweisen und die sukzessive Änderung individuell eingeübter Muster und Verhaltensweisen gehen Hand in Hand, ergänzen und bedingen sich gegenseitig.

Bildungsprozesse helfen dabei, erkannte Veränderungsnotwendigkeiten aktiv zu gestalten. Im Wissen um Zusammenhänge können wir zur Erkenntnis gelangen, dass bestimmte (zum Beispiel nachhaltige) Verhaltensweisen besser sind als andere – und das durchaus in einem moralischen Sinne. Je mehr Menschen diese Erkenntnis gewinnen, umso eher werden sich die gesellschaftlichen und damit auch die politischen Prozesse verändern. Welches Verhalten, welche Entscheidung dann als „besser“ zu verstehen sind, bleibt Bestandteil der gesellschaftlichen Diskussionen. Ein Wert, der unabhängig der aktuellen Entwicklungen dabei eine große Rolle für Entscheidungen und im Rahmen der Diskussionen spielt, ist der der Generationengerechtigkeit. Das Ziel eines jeden Menschen und in jeder Generation sollte es sein, über den Wunsch einer zufriedenstellenden eigenen Situation hinaus, auch den Kindern und Enkeln eine lebenswerte Zukunft auf dieser Erde zu erhalten.

(Moralische) Bildung, das Wissen um Zusammenhänge und Notwendigkeiten sowie das Gefühl, Teil eines größeren Ganzen (Gesellschaft, Zukunft) zu sein, kann Menschen dabei unterstützen, als unangenehm empfundene Situationen (Dissonanzen) auszuhalten. Und diese Punkte können ergänzend dazu führen, die Motivation zu fördern, bewusst gegen diese inneren, aber auch gegen äußere Widerstände anzukämpfen.

Die Rahmenbedingungen dazu sind seitens der Gesellschaft und der Politik zu schaffen. So wird aus der Wissenschaft und in der Forschung etwa die Notwendigkeit einer „sozial-ökologischen Transformation“ propagiert. Die soziale Komponente, damit die Schaffung sozialen Ausgleichs für im weitesten Sinne benachteiligte Menschen und Personengruppen lokal und global ist die Aufgabe, nicht zuletzt wiederum, um die Akzeptanz erkannter Notwendigkeiten im Rahmen von Verhaltensänderungen zu stärken. Somit liegt eine große Verantwortung bei den (gewählten) Entscheidungsträgern in Politik, aber auch in Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft – ohne, dass wir uns als Menschen, Bürger:innen und Wähler:innen letztendlich von unserer eigenen Verantwortung freisprechen können.

Zum Weiterlesen:

Das Standardwerk zum Thema der Kognitiven Dissonanz stammt von Leon Festinger (1957/1978): Theorie der kognitiven Dissonanz. Liebefeld-Bern: Verlag Hans Huber.

Andreas Püttmann (2009): Kognitive Dissonanz. Über unsere verderbliche Neigung, die Kenntnisname von Wirklichkeiten zu verweigern“, in: Die Politische Meinung, Nr. 480, S. 74-76. Der Autor greift weitere (aktuelle) Beispiele auf, inwiefern Wunsch und Wirklichkeit oftmals erheblich auseinanderklaffen.

Die wissenschaftliche Forderung einer sozial-ökologischen Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft lässt sich gut hier nachlesen: Johannes Wallacher (2021): Wie die sozial-ökologische Transformation gelingen kann. In: Stimmen der Zeit 8/2021.
Wie sozial-ökologische Transformation gelingen kann | Stimmen der Zeit (herder.de)

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