Der amerikanische Philosoph und Schriftsteller David Forster Wallace hat im Jahre 2005 vor einem Abschlussjahrgang des amerikanischen Kenyon Colleges eine Rede gehalten mit dem Titel This Is Water. (Das hier ist Wasser, deutsche Ausgabe Köln 2012). Die Parabel, die Wallace seiner Rede voran-stellt, ist die zweier junger Fische im Wasser. Diese schwimmen ihres Wegs, begegnen einem älteren Exemplar der Gattung Fisch, der die beiden fragt: „Morgen, Jungs. Wie ist das Wasser?“. Die zwei jungen Fische schwimmen weiter, bis schließlich einer der beiden fragt: „Was zum Teufel ist Wasser?“
Die Point bei Wallace besteht nicht alleine in der Tatsache des sicherlich vorhandenen Bewusstseins beim Autor, dass über eine solche Geschichte ohnehin jeder Leser oder Hörer gedanklich stolpern wird – wer würde nicht über diese Wendung nachdenken – sondern ganz entscheidend in der Tatsache, wie Wallace auf dieser Geschichte basierend eine komplexe Anregungsstruktur entfaltet. Wohlgemerkt vordergründig eine Anregungs- oder Denkstruktur für Absolventen eines amerikanischen Colleges – also für 16 bis 18-Jährige und damit „junge Fische“.
Die beiden Argumentationslinien auf dem Weg zum Fazit gehen bei Wallace in folgende Richtungen: Zum einen geht es nicht darum, denken per se zu lernen, sondern darum, zu lernen, über was es sich nachzu-denken lohnt. Diese Notwendigkeit ergibt sich im Sinne des Lernens der Tatsache, dass eigene subjektive Gewissheiten nicht richtig sein müssen. Eine Tatsache, die – nebenbei bemerkt – vielen Zeitgenossen erfahrungs-gemäß absolut fremd ist.
Zum anderen geht es darum, sich der Tatsache bewusst zu werden, dass man eben nicht nur nicht alleine auf der Welt ist (eigene subjektiven Wahrheiten also eben nicht wahr sein müssen), sondern man sich zudem in ständiger Interaktion mit anderen Menschen befindet. Diese Interaktion ist als Art soziales Netz zu beschreiben, ein Netz, das in jeder Situation um uns herum besteht. Und man sollte sich bewusst machen (Wallace nennt ganz banal als Beispiele den Straßenverkehr oder die Kassenschlange im Supermarkt), inwiefern jedes einzelne Element dieses Netzes auch „nur“ Auto fahren oder Einkaufen möchte. Alle haben ähnliche oder gar die gleichen Ziele – und dann auch die absolut gleiche Berechtigung, diese Ziele zu erreichen.
Unabhängig der Tatsache, guter oder schlechter Tage, guter oder schlechter Erfahrungen, der Tatsache, nicht immer großzügig sein zu können, oft ungerecht behandelt zu werden und zu handeln, vielleicht schlicht der „Tagesform“ – die Regel oder die Anregung, die Wallace uns allen mit auf den Weg gibt, ist diese: Die Entscheidung, wie wir denken, wie wir uns verhalten, die liegt alleine bei uns. Und Denken lernen bedeutet dann gerade zu lernen, diese Wahl zu haben. Und diese Wahl ermöglicht uns Freiheit – im Handeln und im Denken. Es ermöglicht uns eine Freiheit im qualifizierten Sinne, als absolute, konkrete, wirkliche Freiheit, nicht bloß als negative Freiheit, als Freiheit im Sinne der Freiheit von Zwängen.
Die jungen Absolventen wurden im Jahre 2005 mit dieser Rede in ihr weiteres Leben entlassen, um im Bild der eingangs erzählten Parabel zu bleiben: In das Wasser. Aber auch alte Fische sollten sich das sie umgebende Wasser immer mal wieder bewusst machen.
Denn im uns allumgebenden „Wasser“, in unserem Leben, innerhalb des sozialen Netzes, in der Interaktion und mit einer Idee davon, dass es andere Wahrheiten neben der eigenen subjektiven geben kann, gilt es, denken zu lernen, oder eben: anders denken zu lernen.
Mit diesem Blog, der hier und heute das Licht der Welt erblickt, will ich mit allen interessierten Freunden, Followern, Unterstützern und Kritikern ins Gespräch kommen. In regelmäßig unregelmäßigen Abständen werde ich hier Beiträge, Gedanken und Ideen veröffentlichen.
Es geht um das Nachdenken über Fragen des praktischen Alltagslebens, es geht um theoretische Abstraktionen, es geht um politische und gesellschaftliche Fragen, es geht ganz allgemein um das Denken. Dabei werden von Zeit zu Zeit auch einzelne Autoren, Philosophen oder Menschen des öffentlichen Lebens im speziellen Fokus stehen. Und es muss vielleicht oder wahrscheinlich oftmals neu gedacht werden. Es müssen Fragen gestellt und Diskussionen geführt werden. Und ich lade jeden herzlich ein, diesen Weg mit mir zu beschreiten.
Nachbemerkung: David Foster Wallace nahm sich 2008 in der Phase einer schweren Depression das Leben. Wenn man das literarische und philosophische Werk betrachtet, muss man auch deswegen ob dieser Tatsache absolut betrübt sein. Dass Wallace ein brillanter Denker war, kann man meines Erachtens auch dem hier zitierten Text entnehmen. Leider hat er darin – vermutlich prophetisch – in Bezug auf den menschlichen Geist geschrieben: „Es ist keineswegs Zufall, dass Erwachsene, die mit Schusswaffen Selbstmord begehen, sich fast immer in den Kopf schießen. Und in Wahrheit sind die meisten dieser Selbstmörder eigentlich schon tot, lange bevor sie den Abzug drücken.“ (Das hier ist Wasser, Köln 2012, S. 19)
Zum Weiterlesen:
David Foster Wallace: Das hier ist Wasser. Köln 2012
David Foster Wallace: Schicksal, Zeit und Sprache. Über Willensfreiheit. Berlin 2012
…und belletristisch natürlich der epochale Roman: Unendlicher Spaß (Köln 2009) oder der schreiend komische Reisebericht einer Kreuzfahrt: Schrecklich amüsant – aber in Zukunft ohne mich (München 2006)
(Philosophische) Literatur zum Thema Freiheit, die zu umfangreich ist, sie hier aufzulisten; einige wichtige Denker diesbezüglich: Platon, die Schule der Stoiker, Immanuel Kant, der Deutsche Idealismus um Hegel und Fichte, John Stuart Mill, Jean-Paul Sartre, Friedrich Hayek,…
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