Setzen wir voraus, die sogenannten „seriösen“ Tageszeitungen, Magazine, Fernsehformate, Talkshows, usw. würden tatsächlich keine Propaganda betreiben, sondern rein neutral informieren – wenngleich man zumindest tendenziöse Berichterstattung und das Weglassen von Informationen, was zumindest an die Lüge grenzt, als Grenzfälle betrachten sollte. Und jedes Medium berichtet selbstverständlich in der Art und Weise „gefärbt“, wie es das jeweilige Stammpublikum erwartet.
Allenthalben ist man dennoch Propaganda und Propaganda-Versuchen ausgesetzt, gerade, wenn man sich verstärkt im Internet bewegt. Es gibt ein unüberschaubares Angebot an Internetseiten, an Foren und Plattformen, auf denen mehr oder weniger seriös Informationen angeboten, Meinungen ausgetauscht und persönliche Daten preisgegeben werden. Das Internet ist weltumspannend, anonym, nicht regulier- und regelbar und die gespeicherte Datenmenge wächst täglich in unfassbarer Geschwindigkeit.
Gesteuerte Meinungsmache mit dem Ziel der Beeinflussung der öffentlichen Meinung, also Propaganda, ist dabei kein neues Phänomen. Den Begriff der Propaganda im heutigen Sprachgebrauch kennt die Menschheit spätestens seit der Französischen Revolution und im Sinne der Verbreitung politischer Inhalte. Deutschland ist dabei historisch sehr deutlich von Propaganda geprägt – durch die beiden Weltkriege, die gleichzeitig Propagandaschlachten zwischen den je kriegsführenden Ländern waren.
Um auf das Internet zurückzukommen: Neben der fehlenden, einheitlichen Vorgabe, ein Impressum im Internet veröffentlichen zu müssen (vergleichbar mit einem deutschen Presserecht) –was aufgrund der weltweiten Vernetzung auch nicht durchsetzbar sein wird – wird Propaganda auch durch sog. „Shitstorms“ oder sog. „Trolle“ betrieben. („Troll“ ist die Bezeichnung für Personen, die die Kommunikation im Internet systematisch destruktiv beeinflussen und versuchen, andere Nutzer zu provozieren.)
Welche Möglichkeiten gibt es dann für den Einzelnen, Propaganda (beispielsweise im weltweiten Netz) zu erkennen, zu dechiffrieren und in einen Gesamtkontext einzuordnen – sei dieser nun politisch, gesellschaftlich, historisch oder aktuell? Wie lassen sich neutrale Nachrichten von bewusster Lüge und interessengesteuerter Berichterstattung trennen?
Ich schlage hier vier wesentliche Möglichkeiten vor, die man jeweils anwenden kann, neben der Tatsache, sich den Gesamtkontext stets zu vergegenwärtigen, tatsächlich auf sein Gefühl zu hören und spontane Reaktionen im Netz zu vermeiden:
1. Wer sind Absender und Empfänger der Nachricht?
Diese Frage beschäftigt sich mit der Frage danach, welche Absicht der Absender der Nachricht verfolgt oder verfolgen könnte und welche Empfänger im Fokus stehen. So geht es im politischen Bereich oftmals darum, dem jeweiligen Bild des Anderen entgegenzuwirken. Als Beispiel im internationalen Kontext sei das Russland-Bild in Deutschland genannt, welches – auch in der sog. seriösen Tagespresse – unter bestimmten Prämissen gebildet und aufrechterhalten wird. Dies geschieht nicht zuletzt auch aufgrund der Erwartungen der Empfänger, also der Konsumenten der jeweiligen Medien. Und in Beantwortung darauf unternimmt der russische Staat eine Gegenoffensive dazu im Netz (vgl. z.B. den – auch deutschsprachigen – Internetauftritt der „SputnikNews“).
Eine Sorgfalt in der Auseinandersetzung hinsichtlich Sender und Empfänger im Rahmen der Kommunikationstheorie ist also unerlässlich, ein differenziertes Bild kann durch diese Auseinandersetzung gewonnen werden.
2. Kritische Analyse von Bildmaterial
Auf Basis der heutigen Möglichkeiten der Manipulation von Bildern und Videomaterial sollte eine allzu unkritische Übernahme gezeigter Inhalte vermieden werden. Bei genauer Betrachtung entdeckt man oftmals Fehler, Schattierungen, Brüche, die auf nachträgliche Bearbeitungen hinweisen.
Bilder sollen stets eine Botschaft transportieren, verdeutlichen, verstärken und wirken oftmals stärker, als reine Texte. Ein extremes Beispiel diesbezüglich sind die Videos islamistischer Terrorgruppen, die Enthauptungen sog. „Ungläubiger“ zeigen. Die Islamisten verbreiten gewalttätig eine überkommene Vorstellung der Auslegung des Korans, die die westliche Lebensweise ablehnt. Eine Auslegung übrigens, die in intellektuellen Kreisen und in der weltweiten Koranforschung keinen Bestand hat. (Nebenbei: Gleichzeitig erkennt man dann oft in den Videos westliche Statussymbole – seien dies nun bestimmte, neuzeitliche Waffen, teure Armbanduhren oder Jeeps. Slavoj Žižek hat dies als latentes Begehren und als vorhandenes Neidgefühl dem Westen und der westlichen Lebensweise gegenüber identifiziert, was bekämpft wird (werden muss) und gleichzeitig dadurch eine Zirkularität in Bewegung setzt, die die Spirale der Gewalt immer weiter und weiter drehen lässt.)
3. Realer Austausch mit anderen Menschen
Unerlässlich scheint der reale Austausch mit „echten“ Menschen. Ein wirkliches Meinungsbild, eine tatsächlich vorherrschende Stimmung und Differenzierungen lassen sich wohl nur so erreichen, nicht über die Anonymität im Internet, welches zudem noch beeinflusst werden kann und wird (siehe „Trolle“). Gerade im interkulturellen Kontext scheint dies notwendig. Als Beispiel könnte man die aktuelle Flüchtlingssituation in Deutschland heranziehen. Sich alleine auf vermeintlich Berichterstattung oder eben Propaganda zu verlassen, wäre höchst fahrlässig. Neben dem eigenen Gefühl, der bereits andiskutierten Frage nach Sender und bewusst gewähltem Empfänger, kann man sich meines Erachtens das beste Bild machen, wenn man mit den Menschen ins Gespräch kommt .
4. Wissen um historische Zusammenhänge
Geschichtswissen ist unabdingbar, um auch aktuelle Entwicklungen, nationale Besonderheiten, aber auch politische Entwicklungen verstehen und aus heutiger Sicht kritisch deuten zu können.
Beispielsweise restaurierte sich der Islamismus nach dem Ende des Kolonialismus neu, auch, nachdem die lokalen Regierungen danach die jeweiligen Probleme (wie Korruption oder Überbevölkerung in Verbindung mit der Weltwirtschaftskrise) nicht in den Griff bekommen haben. Die heutige, nach wie vor herrschende Hegemonialpolitik, die der Westen an den Tag legt und die Weltwirtschaftspolitik zur Verteidigung nationaler Interessen zu Lasten der restlichen Welt, tragen dann zur Verschärfung der Situation bei.
Bildung, auch historische, ist und bleibt die entscheidende Waffe (um in einer martialischen Sprache zu bleiben), Zusammenhänge zu verstehen, einordnen zu können und aus vermeintlich vorgegebenen Mustern ausbrechen zu können. Nicht zuletzt ist auch hier schlicht Herzensbildung gefragt.
Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass es darum geht, stets die „Warum-Frage“ zu stellen. Warum also sendet jemand bestimmte Inhalte an welche Empfänger? Warum wird Bildmaterial bearbeitet, warum reagieren bestimmte Menschen in bestimmten Situationen auf eine ganz bestimmte Art und Weise?
Zu bedenken sind daneben unterschiedliche Identitätsmerkmale der je unterschiedlichen Länder: Sprache, Herkunft, emotionale Welt und Prägung, aber auch Architektur, Feiertage und Baudenkmäler, Flagge und Hymne, also Kultur im weitesten Sinne. Jedes Land ist aus der je eigenen Prägung und Geschichte heraus zu verstehen. Und ein Interesse an und eine Offenheit gegenüber anderen Menschen und Kulturen sollten zu einem gegenseitig wachsenden grundlegenden Verständnis beitragen. Mit einer entsprechenden Bereitschaft kann die Völkerverständigung im Kleinen, wie auch im Großen nur gewinnen.
Im Internet gehen Kontrolle und Verantwortlichkeit sukzessive verloren. Daher besteht einmal die Notwendigkeit, auch „Online-Kommunikation“ im weitesten Sinne als Herausforderung für Forschung und Lehre zu begreifen.
Und zum anderen scheint der beste Schutz immer in der Öffentlichkeit bzw. der öffentlichen Diskussion zu bestehen, also im Bestreben, alles „öffentlich“ zu machen, den öffentlichen Diskurs zu suchen, Interesse zu wecken und zu befeuern. Das betrifft Journalisten ebenso, wie Aktivisten, Betroffene ebenso wie Interessierte.
Dass auf der anderen Seite gerade mit dem Internet damit dann ganz eigene Gefahren und Probleme einhergehen (Provozieren von „Shitstorms“, Beeinflussung der öffentlichen Meinung durch „Trolle“, Mobbing, Lancierung von Falschmeldungen und reinen Gerüchten, und das alles unter Berücksichtigung der massiv vergrößerten Reichweite und einer nahezu unbegrenzten Speicherung), muss unbedingt mit bedacht werden.
Zum Weiterlesen:
Johannes Grotzky: Panta Rhei. Beiträge zur Medienkultur. Norderstedt 2012
Max Bernlochner: Interkulturell-interreligiöse Kompetenz. Bochum 2013
…und maximal streitbar: Slavoj Žižek: Blasphemische Gedanken. Islam und Moderne. Berlin 2015
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